Über die Verwaltung urteilen, heißt immer noch verwalten – Zum Bedeutungswandel einer klassischen Maxime des französischen Rechts
Données bibliographiques / Bibliografische Daten![]() | |
---|---|
Auteurs / Autoren: | JACQUEMET-GAUCHÉ, ANNE |
Revue / Zeitschrift: | Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) |
Année / Jahr: | 2025 |
Localisation / Standort: | DÖV 2025, 89-95 |
Catégorie / Kategorie: | Droit administratif |
Mots clef / Schlagworte: | ALLGEMEINE PRINZIPIEN DES VERWALTUNGSRECHTS, CONSEIL D'ETAT, Gerichtsbarkeit, VERWALTUNGS-, Droit administrati |


Die Autorin erörtert eine klassische Problemstellung bezüglich der Aufgaben und Befugnisse des französischen Conseil d'État, der gleichzeitig die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit und ein die Exekutive und z.T. sogar die Legislative beratendes Organ ist. Dabei beschreibt sie die Genese der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Verbot der Einmischung der ordentlichen Gerichte in die Angelegenheiten der Verwaltung und den langen Weg zu einer unabhängigen und eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich. Sie betont insbesondere, dass bis weit in das 20. Jahrhundert die Befugnisse der Verwaltungsgerichte in Bezug auf die Verwaltung, etwa hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen oder der Anordnung von Maßnahmen der Verwaltung, weit hinter dem deutschen Recht zurückblieben und sich in der kassatorischen Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsmaßnahme erschöpfte.
Die Autorin zeigt sodann auf, dass durch die Gesetze vom 8. Februar 1995 und vom 30. August 2000 eine maßgebliche Stärkung der Befugnisse der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgte. In diesen Kontext ordnet sie auch eine Rechtsprechungslinie in Bezug auf Verwaltungsverträge (contrats administratifs) ein, kraft derer das Gericht bei Mängeln anstelle der Auflösung bzw. Nichtigerklärung des Vertrags eine inhaltliche Anpassung desselben und nötigenfalls sogar trotz einseitiger Beendigung den weiteren Vollzug des Vertrags anordnen kann. Im letzten Teil verweist die Autorin auf drei Rechtsprechungslinien von aktueller und allgemeinpolitischer Bedeutung. Zunächst wird die relative Zurückhaltung des Conseil d'État bei seiner Rechtsprechung zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie erläutert. Sodann wird auf die Rechtsprechung im Hinblick auf sogenannte Klimaklagen eingegangen. Hierbei betont die Autorin, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit zwar die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen der Exekutive beanstandet hat, sich jedoch weigerte, konkrete Maßnahmen zur Abhilfe anzuordnen. Schließlich erörtert die Autorin die Rechtsprechung zu diskriminierenden Personenkontrollen. Auch hier habe der Conseil d'État festgestellt, dass eine rechtswidrige Praxis nicht nur in Einzelfällen existiere, sich aber geweigert, der Verwaltung konkrete Maßnahmen zur strukturellen Beseitigung solcher Praktiken aufzugeben.
Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf die aus Sicht der Autorin stetig steigenden Relevanz der nicht rechtsprechenden, sondern beratenden Funktion des Conseil d'État. Zwar betont die Autorin die funktionale Trennung der rechtsprechenden und der beratenden Sektion, gleichzeitig aber die Einheit der Institution des Conseil d'État. Insoweit stellt sie fest, dass insbesondere über die Erarbeitung von Stellungnahmen anlässlich konkreter Gesetzesvorhaben, aber auch von selbständigen Berichten und Studien in vielfältiger Weise Vorschläge für eine moderne Verwaltung von dem Conseil d'État geäußert und in den politischen Diskurs eingebracht werden.