Reform des französischen Schuldrechts
Dr. Alfred Fink, Rechtsanwalt und Avocat, Taylor Wessing, Paris
Die französische Regierung hat am 10. Februar 2016 die Rechtsverordnung zur Reform des französischen Schuldrechts1 erlassen, die am 11. Februar 2016 im französischen Gesetzblatt veröffentlicht wurde („Schuldrechtsverordnung“)2. In der beigefügten Übersicht haben wir Ihnen stichwortartig die wesentlichen Neuerungen der veröffentlichten Schuldrechtsverordnung zusammengestellt.
Wie Sie der Übersicht entnehmen können, bringt die Schuldrechtsverordnung eine umfassende Modernisierung und Vereinfachung des französischen Schuldrechts mit sich. Die tiefgreifenden Änderungen strahlen in alle Bereiche des Vertragsrechts aus. Es ist deshalb unerlässlich, sich schon jetzt mit den neuen Bestimmungen vertraut zu machen. Mit diesem Client Alert möchten wir sie auf die im Herbst in Kraft tretende Schuldrechtsverordnung aufmerksam machen, welche zahlreiche Änderungen vorsieht, die insbesondere Auswirkungen auf das französische Gesellschafts-, Bank- und Grundstücksrecht haben wird. Bitte beachten Sie auch den Hinweis auf weitere Informationen und Veranstaltungen am Ende dieses Client Alerts.
- Grundsätzliches zum Inkrafttreten der Schuldrechtsverordnung
Die Schuldrechtsverordnung tritt erst an dem Tag in Kraft, an dem die Regierung den Entwurf des Ratifizierungsgesetzes zur Schuldrechtsverordnung beim Parlament einreicht. Die Verfasser der Schuldrechtsverordnung haben in Artikel 9 vorgesehen, dass diese erst zum 1. Oktober 2016 in Kraft treten soll, weil der Praxis Gelegenheit gegeben werden soll, sich mit den einschneidenden Änderungen vertraut zu machen.
Rechtsgeschäfte, die zwischen dem 11. Februar und dem 1. Oktober 2016 abgeschlossen werden, unterliegen damit noch, von den nachfolgend beschriebenen Ausnahmen abgesehen, dem derzeit geltenden Recht. Die Gerichte werden auf Rechtsstreitigkeiten, die vor dem 1. Oktober anhängig werden, die derzeit geltenden Bestimmungen anwenden.
Gleichwohl darf erwartet werden, dass die Neuregelungen bereits heute die Rechtsprechung beeinflussen und zwar insbesondere die Bestimmungen, die die bisherige Rechtsprechung des obersten französischen Gerichtshofs (Cour de Cassation) in Frage stellen.
- Ausnahmen
Obwohl die Schuldrechtsverordnung erst ab dem 1. Oktober 2016 angewandt werden soll, sieht Artikel 9 drei vorab anwendbare Ausnahmen vor, wenn die nachfolgenden Rechtsgeschäfte im Zeitraum zwischen der Einreichung des Entwurfs des Ratifizierungsgesetzes und dem 1. Oktober 2016 abgeschlossen werden:
- Wenn ein ‘pacte de préférence’ (neuer Artikel 1123 des französisches Zivilgesetzbuchs) abgeschlossen wird:
Beim pacte de préférence handelt es sich um einen Vorvertrag, bei dem sich der Versprechende dem Begünstigten gegenüber verpflichtet, diesem ein Geschäft (z.B. Verkauf seines Grundstücks) anzudienen, wenn er sich zu einem späteren Zeitpunkt entschließen sollte, das Geschäft abschließen zu wollen. Wenn beim pacte de préférence der Versprechende anschließend das Geschäft (versprechenswidrig) mit einem Dritten abschließt, so kann der Begünstigte vom Versprechenden Schadensersatz verlangen. Sollte der Begünstigte nachweisen können, dass der Dritte bei Vertragsabschluss von der Existenz des Versprechens und vom Entschluss des Begünstigten, das Geschäft abzuschließen zu wollen, wusste, so kann der Begünstigte bei Gericht entweder die Nichtigkeit des Geschäfts oder die Ersetzung des Dritten durch ihn selbst im Vertrag beantragen.
Die Schuldrechtsverordnung gibt dem Dritten die Möglichkeit, den Begünstigten schriftlich aufzufordern, sich innerhalb einer angemessen Frist zu erklären, ob einpacte de préférence besteht und ob der Begünstigte entschlossen ist, das Geschäft abzuschließen. Der Dritte muss in seinem Schreiben ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Begünstigte nicht mehr vor Gericht die Nichtigkeit des Geschäfts oder seine Ersetzung geltend machen kann, wenn er die Frist ungenutzt verstreichen lässt.
- Wenn Zweifel an der Vertretungsbefugnis besteht (neuer Artikel 1158 des französisches Zivilgesetzbuchs):
Die Schuldrechtsverordnung sieht im gleichen Sinn im neuen Artikel 1158 des französisches Zivilgesetzbuchs vor, dass wenn ein Dritter bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts Zweifel am Umfang der Vertretungsbefugnis eines Bevollmächtigten hat, er den Vertretenen schriftlich auffordern kann, innerhalb einer angemessenen Frist die Vertretungsbefugnis zum Abschluss des jeweiligen Geschäfts zu bestätigen. Im Schreiben muss der Dritte darauf hinweisen, dass der Stellvertreter zum Abschluss des Rechtsgeschäfts als ordnungsgemäß bevollmächtigt angesehen wird, wenn er innerhalb der gesetzten Frist keine Antwort erhalten sollte.
- Wenn ein aufrechtbares Rechtsgeschäft bestätigt werden soll (neuer Artikel 1183 des französisches Zivilgesetzbuch)
Der (neue) Artikel 1183 des französischen Zivilgesetzbuches sieht vor, dass eine Partei ihren Vertragspartner, der die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts geltend machen könnte, auffordern kann, entweder das Rechtsgeschäft zu bestätigen, oder eine entsprechende Nichtigkeitsklage innerhalb von sechs Monaten einzureichen „Ausschlussfrist“). Das Schreiben muss ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Rechtsgeschäft als bestätigt gilt und somit nicht mehr vor Gericht angegriffen werden kann, wenn die Klage nicht innerhalb der Ausschlussfrist eingereicht werden sollte.
Die vorgezogene Anwendung dieser Vorschriften liegt darin begründet, dass der Gesetzgeber in einem einfachen Verfahren einer Partei die Möglichkeit einräumen will, eine unsichere Rechtslage (schnell) zu klären. Das Befragungsrecht (action interrogatoire) greift weder in den laufenden Vertrag ein, noch modifiziert es die vertragsimmanenten Rechte und Pflichten der Parteien, sondern dient ausschließlich der Rechtssicherheit.
1 Ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats publiée au Journal Officiel de la République Française (JO) le 11 février 2016.
2 Gemäß Artikel 38 der französischen Verfassung kann die Regierung beim Parlament beantragen, ihr eine (befristete) Ermächtigung zum Erlass einer rechtsvertretenden Rechtsverordnung zu erteilen, um Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind um ihr Regierungsprogramm durchzusetzen. Aufgrund eines solches Antrages kann das Parlament ein Ermächtigungsgesetz (loi d’habilitation) erlassen, das (i) den Inhalt und Umfang der Maßnahmen beschreibt, die die Regierung regeln kann, (ii) die Dauer bestimmt, während derer die Regierung die Ermächtigung ausüben kann und (iii) die Frist festlegt, während derer die Regierung einen Gesetzesentwurf für das parlamentarische Bestätigungsgesetz beim Parlament (projet de loi de ratification) einreichen muss.