Arbeitsmarktpolitik und Diskriminierung in Frankreich: die anonymisierte Bewerbung

Audrey Eugénie Schlegel, LL.M.

Der anonymisierte Lebenslauf: Geschichte eines Experiments

Wovon hängt die Einstellung eines Arbeitsnehmers ab? Sind nur seine objektiven Eigenschaften entscheidend, wie etwa seine Ausbildung und Abschlüsse, frühere Erfahrungen, besondere Verdienste… oder spielen noch weitere Merkmale eine wichtige Rolle, die sich nicht dem Lebenslauf entnehmen lassen? Wie z. B. die ethnische Herkunft, oder das Geschlecht?

 

Verschiedene Studien haben bewiesen, dass diese letzten Kriterien oft von erheblicher Bedeutung in Einstellungsverfahren sind[1]. Mit anderen Wörtern: bei der Einstellung wird diskriminiert. Diese Feststellung wurde in verschiedenen europäischen Ländern in den letzten Jahren mehrmals getroffen.

 

In Frankreich wurde diesem Problem eine besondere Aufmerksamkeit nach den Unruhen in den Vorstädten im Jahre 2005 geschenkt. Diese Unruhen hatten zur Ausrufung des Notzustandes geführt, und hatten die Frage der Diskriminierung in der französischen Arbeitsmarkt, u.a. der Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, aufgeworfen.

 

Nachdem Ruhe wieder eingekehrt war, kündigte die Regierung ein Programm zur Bekämpfung der Benachteiligung der Jugend mit Immigrationshintergründen, sowie aus unteren sozio-wirtschaftlichen Schichten. Zu diesem Maßnahmenbündel gehörten die Überlegungen zur Einführung eines anonymisierten Lebenslaufs. Zunächst wurde in 2005 von der Senatsmitgliedern Baria Khiari anlässlich der Gründung der Antidiskriminierungsbehörde vorgeschlagen, dass die Werbung für die Nutzung eines anonymisierten Einstellungsverfahrens zum Aufgabenkreis dieser Behörde eingeführt wird. Dieser Vorschlag wurde jedoch von der Regierung abgewiesen[2].

 

Allerdings wurde mit dem anonymisierten Lebenslauf als Vorstufe der Einladung zum Vorstellungsgespräch bereits in der Praxis experimentiert, z. B. im Versicherungsunternehmen AXA oder beim Arbeitsamt ab 2003[3]. Angesichts der positiven Ergebnisse dieses Experiments wurde in Juli 2005 die Förderung der Einstellung auf der Grundlage anonymisierter Lebensläufe vorgeschlagen[4]. Der Gesetzgeber ging aber mit dem Gesetz des 31. März 2006 für die Chancengleichheit[5] einen Schritt weiter, und macht diese Form der Einstellung für Unternehmen mit über fünfzig Mitarbeitern pflichtig.

 

Jetzt erwägt aber das Parlament einen Schritt nach hinten, und zwar auf Vorschlag der Regierung. Die Einführung des anonymisierten Lebenslaufes war auch ein Regierungsvorschlag gewesen[6].

 

Warum diese Kehrwende nach weniger als zehn Jahren?

 

Dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass auch nach Verabschiedung des Gesetzes die Bedenken gegen dieses Gesetz bestehen blieben- auch innerhalb der Regierung (A). Die Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung bleibt dennoch ein zentrales Anliegen der französischen Republik. Aus diesem Grund wurde die Aufhebung der einschlägigen Vorschriften von der Einführung anderer Mittel zur Bekämpfung der Diskriminierung begleitet, die einen besseren Schutz bitten sollten (B).

 A. Der anonymisierte Lebenslauf: Schicksal einer umstrittenen Maßnahme

 

Am 31. März 2006 fand der anonymisierte Lebenslauf Eingang in die französische Rechtsordnung als Bestandteil eines umfangreichen Maßnahmenpakets, dessen Ziel in der Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung bestand. Dieses Gesetz „für die Chancengleichheit“ sollte die Beschäftigung junger Arbeitnehmer in schwierigen Zonen fördern, die Eltern zur Ausübung ihrer elterlichen Befugnisse animieren (z.B. wurde der Abschluss eines Vertrags mit den Eltern eines Kindes, das sich einer Straftat schuldig gemacht hatte, möglich. Gegenstand des Vertrags war die Festlegung eines Begleitungsprogramms für Kind und Familie, als Sanktionen für die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen waren unter anderen der Entzug gewisser Sozialhilfebeiträge vorgesehen), und die Bürgermeister bei der Bekämpfung deliktischer Straftaten unterstützen.

 

Zur Förderung der Beschäftigung junger Arbeitnehmer in schwierigeren Zonen wurde durch den Artikel 8 des Gesetzes ein neuer Arbeitsvertragstypus ins Leben gerufen worden. Neben dem zeitlich beschränkten und unbeschränkten Arbeitsvertrag soll dieser dritte Vertragstypus die Kündigung eines Arbeitsnehmers unter 26 Jahre jederzeit, ohne Angabe eines Grundes, ermöglichen, und dies während der beiden ersten Jahre. Ansonsten war dieser Vertrag „für die erste Einstellung“ (Contrat première embauche) ein üblicher, zeitlich unbeschränkter, Arbeitsvertrag. Diese Maßnahme war damals eine Umsetzung des flexisecurity-Konzepts[7] vorgestellt[8] worden. Viele Arbeitsnehmer- und Studenten Interessengruppen sahen aber darin eine offene Tür zur Ausbeutung jüngerer Arbeitsnehmer, die damit während zwei Jahre der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt seien[9].

 

Zahlreiche Parlamentarier rügten vor dem Conseil Constitutionnel eine Verletzung sowohl verfahrensrechtlicher also auch materieller Vorschriften der französischen Verfassung, darunter auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Conseil Constitutionnel erklärte aber in einer Entscheidung des 30. März 2006 die Vorschriften zum Ersteinstellungsvertrag für verfassungsmäßig[10]. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nach dieser Entscheidung wurde die Debatte rund um den Vertrag aber nur noch heftiger. Nach zahlreichen, teilweise gewaltsamen, Demonstrationen und erstmaligem Widerstand der Regierung (nach dem Leitmotiv des damaligen Premierminister de Villepin „es wird nicht auf der Straße regiert[11]„) wurde am 21. April 2006 ein Gesetz zur Aufhebung des Artikels 8 des Gesetzes über Chancengleichheit (dieses Gesetz beinhaltete einen einzigen Artikel) verabschiedet, und noch am selben Tag vom Präsidenten unterzeichnet[12].

 

Die Auseinandersetzungen um den anonymisierten Lebenslauf blieben friedlicher, und bei Weitem weniger spektakulär, als diejenigen um den Ersteinstellungsvertrag. Dafür setzten sie sich bis Juni 2015 fort.

 

Bereits im Fauroux-Bericht waren die Meinungen der Gegner des anonymisierten Lebenslaufs akkurat zusammengefasst worden[13]. Neben im Identitätskonzept wurzelnden psychologischen-philosophischen Bedenken waren auch praktische Bedenken (Arbeitsaufwand sowie die Gefahr, dass solche anonymisierte Lebensläufe an einem „wahren“ Kennenlernen zwischen dem potenziellen künftigen Mitarbeiter und seinem Arbeitgeber hindern). Vor allem die praktischen Bedenken wurden von der Seite der Arbeitgeberverbände als Gegenargumente angeführt.

 

Der Gesetzgeber hatte bereits dem Bedenken der erhöhten Kostenaufwände dadurch Rechnung getragen, dass die Einführung eines Einstellungsverfahrens mit anonymisierten Lebensläufen nur für Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern zu einer Pflicht gemacht wurde.

 

Jedoch war die Methode des anonymisierten Lebenslaufs nur in ca. 4% aller französischen Unternehmen im Jahre 2013 angewandt[14]. Diese Zahl kann wundern, angesichts der Tatsache, dass ein solches Verfahren zu einer Pflicht für alle Unternehmen ab 50 Arbeitnehmern zu einer Pflicht gemacht worden war. Zunächst soll daran erinnert werden, dass 2012 ca. 67% der auf französischem Boden ansässigen Unternehmen überhaupt keine Arbeitnehmer beschäftigten[15]. Die 4%-Statistik wurde aber auf der Grundlage der Anzahl an Unternehmen berechnet, die tatsächlich Arbeitnehmer beschäftigen.

 

Diese sehr niedrige Zahl ist vor allem dadurch zu erklären, dass die Regierung Rechtsverordnungen zur Umsetzung dieser Maßnahmen hätte erlassen sollen. Die Regierung war sogar ausdrücklich dazu in den Vorschriften des Gesetzes für Chancengleichheit aufgerufen. Diese Rechtsordnungen wurden aber nie erlassen- vermutlich weil die Regierung sich davor fürchtete, diese umstrittene Maßnahme wieder ins Rampenlicht zu bringen[16] (sei es durch den Erlass von Rechtsverordnungen zu ihrer Umsetzung, oder durch die Aufhebung der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften).

 

Dieses Thema kam aber regelmäßig zurück auf die Tagesordnung verschiedener französischer Institutionen. Der Sénat bestellte im Jahre 2009 eine Studie zur Untersuchung der Effektivität der Maßnahme[17]. In dieser Studie war z.B. die Initiative der Regierung erwähnt, das Verfahren mit anonymisierten Lebensläufen in die Unternehmen ausgesuchter Départements einzuführen. In diesem Bericht waren insgesamt bereits die ersten Spuren des Niedergangs des anonymisierten Lebenslaufes zu spüren: während das Fauroux-Bericht vom Jahre 2005 die positiven Erfahrungen mit diesem Verfahren im Inland betonte[18], ist in demjenigen des Jahres 2009 nur noch die Rede von der Abkehr dieser Idee im Ausland, mit einer Liste der Länder, die sich nach einer Testphase gegen die Einführung einer entsprechenden Regelung entschieden.

 

Verschiedene Interessengruppen versuchten jedoch weiterhin, die Regierung zum Erlass der erforderlichen Rechtsverordnungen zu bewegen. Zu diesem Zweck wurde auch der gerichtliche Weg gegangen. Das französische Verwaltungs- bzw. Staatsorganisationsrecht bietet keine mit derjenigen des $ 75 VwVO vergleichbarer Untätigkeitsklage. Aus einer Verbindung anderer Institute des französischen Rechts hat sich allerdings im Laufe der Zeit ein in funktionaler Hinsicht vergleichbarer Mechanismus entwickelt. Sollte eine von einem Bürger erwartete bzw. erhoffte Entscheidung der Verwaltung ausbleiben, kann dieser sich an die Verwaltung mit einem Antrag auf Erlass des entsprechenden (individuellen oder allgemeinen) Rechtsaktes wenden. Damals war das Ausbleiben einer Antwort nach Ablauf einer grds. zwei-monatigen Frist (als Ablehnung des Antrags anzusehen (gem. art. 21 des Gesetz über die Vereinfachung der Beziehungen zwischen Bürgern und Verwaltung)[19]. Nur in Ausnahmefällen war darin die Erteilung einer Genehmigung zu sehen (z. B. bei der Beantragung von Baugenehmigungen). Dieser Grundsatz wurde November 2013[20] umgekehrt: ab dem 12. November 2014 bei Entscheidungen zentraler staatlicher Einrichtungen sowie denjenigen öffentlicher Anstalten (établissements publics), und ab November 2015 bei Entscheidungen von Gebietskörperschaften, soll das Ausbleiben einer Antwort bis zum Ablauf einer zwei-monatigen Frist als Genehmigung oder Zusage angesehen werden (gem. Art. 1 des Gesetzes vom Jahre 2014 sollen Rechtsverordnungen die Fälle definieren, für welche dieser Grundsatz gelten soll…die mangelnde Übersichtlichkeit dieses Systems wurde bereits von der Praxis gerügt[21]).

 

Diese Ablehnung bildet ebenfalls eine Entscheidung, einen Rechtsakt, der Verwaltung… und kann somit vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit angefochten werden. Im Rahmen eines solchen Verfahrens darf der Richter auch den Erlass eines bestimmten Rechtsakts durch die zuständige Verwaltungsstelle anordnen.

 

Dieser Weg wurde von verschiedenen Vereinen und sogar individuellen Personen gewählt, um den Premierminister zum Erlass der zur Umsetzung des anonymen Lebenslaufs erforderlichen Rechtsverordnungen zu bewegen. In seiner Entscheidung des 8. Juli 2014[22] stellte der Conseil d’État (der höchste Gerichtshof der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der auch in erster Instanz für Anfechtungsklage gegen Rechtsakte eines Ministers- wie im betreffenden Fall- zuständig ist), dass die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung „nur für nichtig erklärt werden“ konnte. Der Conseil d’État setzte ferner dem Premierminister eine sechs-monatige Frist zum Erlass dieser Rechtsverordnung.

 

Diese Frist wurde nicht eingehalten. Eine Rechtsverordnung wurde nie erlassen. Im Jahre 2006 war also ein Gesetz verabschiedet worden, das nie angewendet wurde- und dies obwohl, wie vom Conseil d’État betont, die Entscheidung über den Erlass einer Rechtsverordnung nicht dem Premierminister überlassen war, da diese eine zwingende Voraussetzung zur Anwendung der betroffenen gesetzlichen Vorschriften war[23].

 

Jedoch war damit der anonyme Lebenslauf wieder auf die Tagesordnung der Regierung gerückt. Dies sollte allerdings zur Erkenntnis führen, dass ein solcher Mechanismus öfters zum Nachteil also zum Vorteil üblicher Benachteiligungsgruppen wirkte- und somit zu seiner Abschaffung.

 

B. Das Ende der endlosen Suche nach dem besten Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierungen?

 

Wissenschaftliche und parlamentarische Arbeiten kamen zur Erkenntnis, dass der anonyme Lebenslauf kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierungen bestimmter Bevölkerungsgruppen bildete.

 

An dieser Stelle soll näher auf den französischen Diskriminierungsbegriff eingegangen werden. Zahlreiche Normen der französischen Rechtsordnung verbieten Diskriminierungen, der Diskriminierungsbegriff wird allerdings nur in einer einzigen Vorschrift definiert: im Art. 225-1Code Pénal[24]. Nach dieser Vorschrift bildet „eine Diskriminierung jede Unterscheidung zwischen natürlichen Personen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Familiensituation, ihres Schwangerschaftszustandes, ihrer physischen Erscheinung, ihres Nachnamens, ihres Gesundheitszustandes, ihrer Behinderung, ihrer genetischen Merkmal, ihrer Sitten, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters, ihrer politischen Einstellungen, ihrer Tätigkeiten innerhalb einer Gewerkschaft, ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion“. Im französischen Recht wird davon ausgegangen, dass nicht nur der Staat, sondern auch privatrechtliche Personen derartige Diskriminierungen ausüben können. Der Art. 225-1 Code Pénal bezieht sich sogar in erster Linie das Verhalten privatrechtlicher Personen. Dieser Diskriminierungsbegriff kommt einer oft verwendeten deutschen Definition dieses Begriffs sehr nahe: „die ungleiche Behandlung von Menschen, wenn sie an einem persönlichen Merkmal anknüpft, dessen Berücksichtigung die Rechtsordnung verbietet[25]“.

 

Im Jahre 2011 waren führende Wirtschaftswissenschaftler von der Regierung mit der Durchführung einer umfassenden Studie beauftragt, um die Möglichkeit, sowie den Bedarf nach, einer Erweiterung des Einstellungsverfahrens mit anonymem Lebenslauf zu prüfen. Die Ergebnisse der Studie wurden am 20. Mai 2015 der Regierung vorgelegt[26]. Im Gegensatz zu den bislang von den Verfechter dieses Mechanismus zitierten ausländischen Studie hatten die Experten festgestellt, dass ein anonymer Lebenslauf Bewerbern aus Emigrationshintergrund noch weniger Aussichten auf eine Stelle bietet. Ein Expert erklärt dies jedoch dadurch, dass die an der Studie teilnehmenden Unternehmen sich freiwillig gemeldet hatten, und bereits als Modellbeispiele in Sachen Diskriminierungsbekämpfung anerkannt waren[27]. Mit anderen Worten hätten diese Unternehmen vor der Teilnahme eine Politik der positiven Diskriminierung, d.h. der Begünstigung gewisser Bewerber aufgrund der Merkmale, die ansonsten zu ihrer Diskriminierung genutzt waren.

 

Ein anderer, und vielleicht überzeugender, Einwand gegen die Erweiterung des anonymisierten Lebenslaufs wäre die Tatsache, dass zahlreiche sonstige Rekrutierungskanäle neben der traditionellen Antwort mit Lebenslauf auf eine Stelleanzeige bestehen. Sollte das Einstellungsverfahren mit anonymisiertem Lebenslauf zu einer Pflicht für alle Großunternehmen werden, könnten Unternehmen diese Pflicht mit einer Suche nach potenziellen Arbeitnehmern anhand anderer Mittel (soziale Medien, Universitätsnetzwerke usw.) umgehen[28]. Dies ist umso wahrscheinlicher, dass die Pflicht zur Nutzung anonymisierten Lebensläufe vor allem Großunternehmen betreffen würde… also Unternehmen, mit massiven Internet- und Medienauftritten, welche die Suche nach Mitarbeitern auf anderen Kanälen vereinfachen.

 

Ferner verfolgen einige integrationswilligen Unternehmen eine Politik der positiven Diskriminierung. Diese Politiken sind umstritten: einige behaupten, dass es sich auch um eine Diskriminierung aufgrund anderer persönlicher Merkmale als Leistungen und Kompetenzen handelt[29] (die in Anwendung des oben erwähnten deutschen Diskriminierungsbegriff verboten wäre…), andere sehen darin eine Lösung zum Ausbalancieren der Wirkungen der negativen Diskriminierung. Auf jedem Fall führen diese Politiken in einer erhöhten Beschäftigung der benachteiligten Gruppen. Mit einem anonymen Lebenslauf entfällt allerdings die Möglichkeit der positiven Diskriminierung, und dies bereits vor der Einladung zum Vorstellungsgespräch.

 

Während es letztendlich nicht vergessen werden soll, dass das Absenden eines Lebenslaufs höchstens zu einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch führt, und nicht unmittelbar zum Abschluss eines Arbeitsvertrags. Der anonyme Lebenslauf könnte also einfach den Zeitpunkt der Diskriminierung von demjenigen des Durchgehens der Bewerbungsunterlagen auf denjenigen des Vorstellungsgespräches verlagern. Eine Diskriminierung würde nach wie vor stattfinden- dabei würden aber beide Unternehmen und Bewerber an Ressourcen und Zeit verlieren.

 

All dieser Erwägungen haben die Regierung dazu animiert, die Hinzufügung eines Zusatzes zum im Parlament debattierten Gesetzesentwurf über das soziale Dialog[30] vorzuschlagen. Diese Änderung sah der Aufhebung der Vorschriften über den anonymen Lebenslauf vor. Das Gesetz wurde noch nicht vom gesamten Parlament angenommen: nach zwei Lektüren waren sich beide Parlamentskammer noch nicht einig. Gem. Art. 45 der französischen Verfassung wurde ein Ausschuss mit Vertretern beider Kammer einberufen, der allerdings zu keiner Einigung kam. Der Entwurf wurde ein drittes Mal von der Assemblée debattiert und angenommen, eine Debatte und eine Abstimmung des Sénats sind am 20./21. Juli 2015 geplant.

 

Das Thema der Diskriminierungsbekämpfung war aber ein Wahlversprechen des Präsidenten Hollande gewesen. Aus politischen Gründen wäre undenkbar gewesen, dass eine Maßnahme zur Bekämpfung von Diskriminierungen im Arbeitsleben aufgehoben wird, ohne dass eine andere (bessere…) Lösung eingeführt wird. Bereits in Januar 2014 hatte ein Mitglied der sozialistischen Fraktion in der Assemblée (das untere Kammer des französischen Parlaments), Razi Hammadi, einen Gesetzentwurf[31] über eine Class Action, eine Sammelklage wegen Diskriminierung, vorgelegt. Am 20. Mai 2015, als das Gesetz über das soziale Dialog angenommen wurde, rückte dieser Entwurf auf das parlamentarische Agenda, mit der Ernennung von Hammadi als Berichterstatter.

 

Der Entwurf wurde bereits am 10. Juni 2015 vor der Assemblée angenommen, in erster Lektüre. Er befindet sich seitdem beim Sénat, und wird gegenwärtig von den zuständigen Kommissionen geprüft. Ob der Sénat Änderungen vornehmen wird (und in diesem Fall eine zweite Lektüre erfolgen muss), oder ob er die Annahme des Entwurfes ohne Weiteres plant, ist noch unbekannt.

 

Die ordentliche Sitzung des Parlaments kam am 30. Juni 2015 zum Ende, der Präsident der Republik beschloss jedoch eine Sondersitzung durch Verordnung des 12. Juni 2015, um unter anderen die Arbeiten über diesen Entwurf fortzusetzen.

 

Somit würde eine zweite Sammelklage Eingang in die französische Rechtsordnung finden. Die erste war eine Verbrauchersammelklage[32] gewesen, und wurde nach jahrlangen Debatten um die Frage eingeführt, um eine derartige Sammelklage grundsätzlich mit den Leitprinzipien der französischen Rechtsordnung vereinbar war[33].

 

Inwiefern kann aber eine Sammelklage als Mehrwert bei der Bekämpfung von Diskriminierungen angesehen werden? In den 2000er Jahren[34] wurde bereits eine gesetzliche Umkehrung der Beweislast vorgenommen: mit dem Art. L. 1134-1 Code du Travail (Arbeitsgesetzbuch) besteht eine einfache Vermutung zugunsten des Antragsstellers (des Opfers). Somit wäre denkbar, dass die Hauptschwierigkeit in diesem Verfahren bereits beseitigt wurde. Viele Diskriminierungsopfer sollten sich aber auf der Einleitung eines Verfahrens aufgrund des persönlichen Aufwands zurückschauen…welcher mit einer Sammelklage erheblich vermindert wird. Mit der „Beendigung der Isolierung“ sollten Diskriminierungsopfer also dazu ermutigt werden, diskriminierende Verhalten von Unternehmen zu denunzieren. Die erhöhte Möglichkeit der öffentlichen Denunzierung, sowie der Verurteilung zur Leistung von Schadenersatz, sollte eine Abschreckungswirkung entfalten[35]. Ob dies ausreichend wird, um Unternehmen von Diskriminierung bei der Einstellung abzuhalten?

 

Die Sammelklage bringt aber einen weiteren Vorteil mit sich: Damit können sich Diskriminierungsopfer auf die Hauptsache konzentrieren: die Suche nach einer Arbeitsstelle.

 

 

[1] In Frankreich: Calmand/Epiphane, „Origine Sociale et intégration professionnelle après des études supérieures“, CEREQ, 2010. Im Vereinigten Königreich: Weaver, „Poshness Test Blocks Working Class Applicants at Top Companies“, in: The Guardian, 15.06.2015. In Deutschland wurde auch festgestellt, dass Menschen mit Emigrationshintergründen öfters arbeitslos sind: ob dies auf eine Diskriminierung bei der Einstellung oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist, bleibt unklar: s. Bundesagentur für Statistik, Der Arbeitsmarkt in Deutschland- Menschen mit Emigrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Arbeitsmarktberichterstattung, Juni 2014.

[2] Sénat, Sitzungsbericht des 5. Mai 2006.

[3] Rapport Fauroux „La lutte contre les discriminations ethniques dans le domaine de l’emploi“, Juli 2005, S. 23.

[4] Ibid., S. 30.

[5] Gesetz Nr. 2006-396 (Loi sur l’égalité des chances).

[6] Den Gesetzesentwurf über den anonymisierten Lebenslauf wurde vom Premierminister Villepin, unter dem Präsidenten Chirac, in 2006 eingeführt. Das Gesetz zur Aufhebung dieser Vorschriften wurde vom Minister Rebsamen (Premierminister Valls, Präsident Hollande) vorgeschlagen.

[7] Die Flexisecurity ou Flexicurity lässt sich als eine Arbeitsmarktstrategie definieren, die zugleich den Bedarf der Arbeitgeber nach einer flexiblen Arbeitsmarkt und dem Bedarf der Arbeitnehmer nach Sicherheit erfüllt. Für mehr Information, s. die Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen : „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“ {SEK(2007) 861} {SEK(2007) 862}, Nr. KOM/2007/0359 endg.

[8] Darüber waren nicht nur Wissenschaftler einig (s. Ramaux, „La Flexisécurité, critiques empiriques et théoriques“ in: Tremblay, Flexibilité, Sécurité d’emploi et flexisécurité: les enjeux et défis, 2007, S. 305) , sondern auch die Vertreter sozialer Interessengruppen: Perrin, „Chômage et flexisécurité à la francaise“, Beitrag für ATTAC, 2011.

[9] Sebastien, „Les étudiants et le contrat de première embauche“ in: Agora Débats/Jeunesse Nr. 3/2008 (49), S. 64 ff.

[10] Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2006-535 DC vom 30.03.2006.

[11] „La rue ne dirige pas“.

[12] Nach französischem Verfassungsrecht bedürfen die vom Parlament veraschiedeten Gesetze zu ihrem Inkraftreten der Unterschrift des Präsidenten der Republik. Bis zu diesem Zeitpunkt können Sie dem Conseil Constitutionnel zum Zwecke der Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung vorgelegt werden. Der Fall ist bereits öfters eingetreten, in welchem der Präsident mit der Unterzeichnung zögerte, um den Berechtigten die Anrufung des Conseil Constitutionnel zu ermöglichen. In Fall des Ersteinstellungsvertrags herrschte allerdings ein derartiges Konsens, dass die Maßnahme schnellstmöglich rückgängig gemacht werden musste, dass der damalige Präsident Chirac sich legitimiert sah, das Gesetz sofort zu unterzeichnen.

[13] Fn. 3, S. 27.

[14] Rodier, „CV anonyme la fin d’une fausse bonne idée“, in: Le Monde – Économie et entreprises, 20.05.2015.

[15] INSEE, „Unités légales selon le nombre de salariés et l’activité en 2013“.

[16] Vgl. Cailhol, „Sans emploi, le CV anonyme abrogé“, in: Libération, 19.05.2015.

[17] Sénat, Étude de législation comparée n° 203: le CV anonyme, Dezember 2009.

[18] S. Fn. 3

[19] Gesetz Nr. 2000-321 vom 21. April 2000.

[20] Gesetz Nr. 2013-1005 vom 12. November 2013.

[21] Bem (Rechtsanwalt), „Le silence de l’administration vaut désormais acceptation sous certaines conditions“, auf Legavox, am 1.12.2014 (http://www.legavox.fr/blog/maitre-anthony-bem/silence-administration-vaut-desormais-acceptation-16444.htm#.Vae1Ombtmko, zuletzt am 16.07.2015 aufgerufen).

[22] Conseil d’État, M.A et al., Beschwerde-Nr. 345253, 352987, 373610.

[23] Ibid., Rn. 5.

[24] S. Dini für Sénat, Bericht Nr. 253 (Legislaturperiode 2007-2008): Projet de loi portant diverses dispositions d’adaptation au droit communautaire dans la lutte contre les discriminations, 2. April 2008.

[25] Rittsieg/Rowe, Einwanderung als gesellschaftliche Herausforderung, 1992, S. 60.

[26] Sciberras (Präs.), Rapport de synthèse des travaux du groupe de dialogue inter-partenaires sur la lutte contre les discriminations en entreprise, 12.05.2015.

[27] Behagel , zitiert in: Rodier (s. Fn. 10).

[28] Fn. 26, S. 16.

[29] Amadieu, „Vraies et fausses solutions aux discriminations“, in : Céreq, Nr. 101, 2008, S. 89 ff.

[30] Entwurf Nr. 2739 vom 22. April 2015.

[31] Entwurf Nr. 1699 vom 14. Januar 2014.

[32] Gesetz Nr. 2014-344 vom 17. März 2014 über den Verbraucherschutz.

[33] Vgl. Bacache, „Introduction de l’action de groupe en droit francais: à propos de la loi n° 2014-344“, in : La Semaine Juridique-Édition générale, Nr. 13, 31.03.2014, S. 902 ff.

[34] Gesetz Nr. 2001-43 vom 16. Januar 2001, Gesetz Nr. 2004-1486 vom 30. Dezember 2004, Gesetz Nr. 2008-496 vom 27. Mai 2008.

[35] Hammadi/Le Roux, Bericht für die Assemblée nationale über den Gesetzesentwurf Nr. 1699, am 27.05.2015 vorgelegt, S. 28.